Freiberufler-Sozietäten

Dr. Reinhard Nacke, Dr. Sabine Otte-Gräbener
Anwaltszertifikat Handels- und Gesellschaftsrecht 7/2014 Anm. 1


Auseinandersetzung

in Freiberuflersozietäten

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Einleitung

Bei Sozietäten von Freiberuflern gehören Abspaltungen zunehmend zum Alltag; insbesondere in größeren Anwaltssozietäten besteht zuweilen eine hohe Fluktuation. Das Ausscheiden eines Gesellschafters birgt aber oft ein erhebliches Streitpotenzial und wirft komplexe Rechtsfragen auf. Kern der Auseinandersetzung ist regelmäßig der Streit um die Höhe der Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters. Ausgangspunkt ist oft zunächst eine Auslegung unklarer gesellschaftsvertraglicher Regelungen. Viele Sozietäten weisen lückenhafte schriftliche Verträge auf: Ca. 20% der Sozietäten verfügen über keinen schriftlichen Sozietätsvertrag (1).


Der nachfolgende Beitrag untersucht, ob dem ausscheidenden Gesellschafter auch ohne gesellschaftsvertragliche Regelung ein Abfindungsanspruch zusteht und wie ein solcher Anspruch in einem Gesellschaftsvertrag ausgestaltet werden kann. Der Beitrag befasst sich zwar ausdrücklich nur mit dem Ausscheiden von Rechtsanwälten aus einer Personengesellschaft, aber die darin dargestellten Grundsätze gelten auch für Sozietäten anderer Freiberufler (wie z.B. Ärzte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer).


Die Rechtslage

I. Abfindungsanspruch


Nach wie vor sind die meisten Sozietäten als GbR organisiert (2). Daran hat auch die Attraktivität der beschränkten Berufshaftung bei der neuen Rechtsform der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartGmbB) nichts geändert. Die nachfolgenden Ausführungen gelten jedoch auch für das Ausscheiden aus einer PartGmbB, denn darauf sind die §§ 738 bis 740 BGB ebenfalls anwendbar (vgl. § 1 Abs. 4 PartGG).


Ein ausscheidender Gesellschafter hat grundsätzlich einen Anspruch auf Abfindung gemäß § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB. Demnach steht dem ausscheidenden Gesellschafter das zu, was er bei einer Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre. Maßgeblich für die Berechnung der Abfindung sind die wirklichen Werte des lebenden Unternehmens einschließlich des inneren Geschäftswerts (stille Reserven, Goodwill) (3). Somit ist grundsätzlich der Wert zu berechnen, der sich beim Verkauf des lebensfähigen Unternehmens als Einheit ergeben würde (4).


Der Abfindungsanspruch kann vertraglich nur in engen Grenzen ausgeschlossen werden (5). Nach der Rechtsprechung des BGH sind abfindungsbeschränkende Klauseln zu korrigieren, wenn sie zu Lasten des ausscheidenden Gesellschafters zu einer Abfindung führen, die erheblich hinter dem wahren Anteilswert zurückbleibt (6).


II. Besonderheit bei Freiberuflern

Allerdings gelten die vorgenannten allgemeinen Regeln zur Auseinandersetzung nicht für Freiberuflersozietäten, da sich der Wert einer solchen Sozietät nahezu ausschließlich nach deren Goodwill richtet, d. h. nach den vorhandenen Mandantenbeziehungen und der Positionierung der Sozietät am Markt (7). Der anteilige Wert der Büroausstattung macht nur einen verschwindend geringen Teil des Werts der Sozietät und damit des Gesellschaftsanteils des ausscheidenden Gesellschafters aus. Der Goodwill ist eng an die Persönlichkeit des ausscheidenden Gesellschafters gebunden. Die Rechtsprechung modifiziert daher die Regeln für Freiberuflergesellschaften: Für die Berechnung des Abfindungsanspruchs des Ausscheidenden aus einer Freiberuflergesellschaft ist maßgeblich, ob der ausscheidende Gesellschafter ein Recht zur Mandatsmitnahme hat oder nicht.

Sofern die Parteien wirksam ein Wettbewerbsverbot oder eine Mandantenschutzklausel vereinbart haben, ist diese Regelung nur wirksam, wenn dem Ausscheidenden vertraglich eine dem immateriellen Praxiswert entsprechende Abfindung zusteht. (8). Umgekehrt ausgedrückt: Sofern ein Gesellschafter aus einer Freiberuflersozietät gegen Zahlung einer Abfindung ausscheidet, die auch den Wert des Mandantenstammes abgelten soll, hat dies mangels anderweitiger Abrede nach der Rechtsprechung des BGH zur Folge, dass der ausscheidende Gesellschafter die Mandanten der Sozietät nicht mitnehmen darf (9). In einem solchen Fall muss er den verbleibenden Gesellschaftern die Mandanten für maximal zwei Jahre überlassen. Anderenfalls würde der ausscheidende Gesellschafter eine überhöhte Abfindung erhalten, da die von ihm übernommenen Mandate durch Einbeziehung in den Goodwill einerseits und durch Mitnahme der Mandate andererseits im Ergebnis doppelt berücksichtigt würden.

Umgekehrt hingegen, sofern der Gesellschaftsvertrag keine Regelung zur Mitnahme von Mandanten enthält, führt eine ergänzende Vertragsauslegung in der Regel zu dem Ergebnis, dass sich der Ausscheidende den Wert mitgenommener Mandate auf seinen Abfindungsanspruch anrechnen lassen muss (10). Weitergehend sollen nach der Rechtsprechung eine Teilung der Sachwerte und die Möglichkeit, um die bisherigen Mandanten der Sozietät zu werben (sog. Realteilung), eine zusätzliche Abfindung für den Goodwill der Sozietät sogar grundsätzlich ausschließen (11). Die Realteilung sei „die natürliche Form der Auseinandersetzung einer solchen Gesellschaft“ (12). Die theoretische Möglichkeit, Mandanten mitzunehmen, führt somit mangels gesellschaftsvertraglicher Regelung meist dazu, dass der Abfindungsanspruch des Ausscheidenden im Hinblick auf den Goodwill auf Null reduziert wird (13). Der Abfindungsanspruch wird selbst dann gekürzt, wenn sich die Erwerbschance tatsächlich nicht realisieren konnte oder es dem Ausscheidenden nicht gelingt, die Mandate mitzunehmen (14).


Auswirkungen für die Praxis

Soweit ersichtlich, hat der BGH bislang nicht entschieden, nach welchen Kriterien eine Anrechnung erfolgen soll (15). Somit besteht insbesondere bei Anwaltssozietäten eine hohe Rechtsunsicherheit, den Wert eines Mandats zu beziffern, zumal es sich bei anwaltlichen Beratungsmandaten oftmals nicht um Dauermandate handelt (16).


Eine Reduzierung des Abfindungsanspruchs durch die bloße Möglichkeit der Mitnahme von Mandanten überzeugt nicht. Sie dürfte oft zu einer Mandantenbefragung gemäß § 32 BORA führen. Häufig wird dieses Szenario auf einen Kampf um die Mandate herauslaufen. Es wäre für die Mandanten selbst nicht interessengerecht, in die Streitigkeiten einer Sozietät hineingezogen zu werden. Durch einen solchen Streit um die Mandate wird die Seriosität der beteiligten Anwälte in Frage gestellt. Zudem entsteht sowohl für die Sozietät als auch für den Ausscheidenden die Gefahr, dass sich ein Mandant abwendet und für alle Beteiligten verlorengeht.


Diese Rechtsprechung wird darüber hinaus der heutigen Kanzleilandschaft nicht mehr gerecht, da sie maßgeblich auf das Modell kleinerer Sozietäten abstellt, in der alle Gesellschafter etwa gleiche Akquiseanteile haben. In den zahlreichen Großkanzleien hingegen, die auf das Transaktionsgeschäft spezialisiert sind, werden viele Gesellschafter unterstützend tätig, z. B. in Bereichen des Arbeits- oder Steuerrechts oder des gewerblichen Rechtsschutzes (17). Solche Gesellschafter haben oft einen kleineren Mandantenstamm, so dass ihnen von vornherein eine geringere Möglichkeit zur Mitnahme von Mandaten offensteht als z. B. akquisestarken M&A-Anwälten.


Noch eklatanter werden die Gesellschafter benachteiligt, die sich maßgeblich mit organisatorischen Themen befassen und dabei eine Führungsrolle innerhalb der Sozietät einnehmen, wie z. B. die sog. „Managing Partner“ oder „Knowledge-Management-Partner“. Solche Gesellschafter haben in der Regel kaum Mandantenkontakt. Es wäre nicht interessengerecht, sie auf die bloß theoretische Möglichkeit der Mitnahme von Mandanten zu verweisen, die sich in der Praxis nicht realisieren lässt (18).


Die Rechtsprechung führt auch zu einem unbilligen Ergebnis, wenn sich der ausscheidende Gesellschafter in die Sozietät „eingekauft“ hat. Für ihn besteht das Risiko, dass er seine Einlage nicht zurückerhält, es ihm aber gleichzeitig nicht gelingt, althergebrachte Mandanten der Sozietät mitzunehmen.


Eine weitere drastische Benachteiligung bei einer solchen Reduzierung des Abfindungsanspruchs ergibt sich etwa, wenn der Ausscheidende alters- oder krankheitsbedingt seine berufliche Tätigkeit einstellt oder aber eine völlig andere Tätigkeit ausüben will, z. B. nach der Tätigkeit als Partner einer internationalen Großkanzlei in den Staatsdienst oder in ein Unternehmen wechselt. (19). Eine Realteilung mit der Folge des Ausschlusses des Abfindungsanspruchs wäre für solche Partner ebenfalls nicht gerechtfertigt, da sie die Berufswahl nach deren Ausscheiden aus der Sozietät einschränken und damit eine unzulässige Kündigungsschranke i.S.d. § 723 Abs. 3 BGB darstellen würde.


Angesichts der hohen Rechtsunsicherheit und der teilweise nicht interessengerechten Rechtsprechung sind konkrete gesellschaftsvertragliche Regelungen zu der Berechnung des Abfindungsanspruchs in Freiberuflersozietäten unerlässlich, um Klarheit zu schaffen und später beim Ausscheiden eines Gesellschafters unnötige Streitigkeiten zu vermeiden. Eine Anrechnung der Möglichkeit der Mitnahme von Mandanten sollte jedenfalls bei größeren Sozietäten, auf die dieses Modell nicht passt, gesellschaftsvertraglich ausgeschlossen werden.


Literaturempfehlungen

Henssler/Michel, Austritt und Ausschluss aus der freiberuflichen Sozietät – Gesellschaftsrechtliche und berufsrechtliche Folgen, NZG 2012, 401.



Römermann, Auflösung und Abspaltung bei Anwaltssozietäten, NJW 2007, 2209.


Wertenbruch, Passivlegitimation und Mandateanrechnung im GbR-Abfindungsstreit, NZG 2011, 1133.



Westermann, Rechtsfolgen des Ausscheidens aus einer Freiberufler-Sozietät, AnwBl 2007, 103.



Wolff, Die Auseinandersetzung von Freiberuflergesellschaften und ihre prozessuale Bewältigung, NJW 2009, 1302.



§ 738 BGB



Fußnoten

1) Römermann, NJW 2007, 2209.2) Henssler/Michel, NZG 2012, 401.
3) BGH, Urt. v. 18.04.2002 - IX ZR 72/99 - ZIP 2002, 1144; Sprau in: Palandt, BGB, 73. Aufl. 2014, § 738 Rn. 5.
4) BGH, Urt. v. 21.04.1955 - II ZR 227/53 - BGHZ 17, 130, 136; BGH, Urt. v. 22.10.1973 - II ZR 37/72 - NJW 1974, 312.
5) Römermann, NJW 2007, 2209, 2213.
6) Hülsmann, NJW 2002, 1673.
7) BGH, Urt. v. 25.11.1998 - XII ZR 84/97 - NJW 1999, 784, 785; BGH, Urt. v. 08.05.2000 - II ZR 308/98 - NJW 2000, 2584.
8) Westermann, AnwBl 2007, 103, 109.
9) BGH, Urt. v. 08.05.2000 - II ZR 308/98 - NJW 2000, 2584.
10) BGH, Urt. v. 06.03.1995 - II ZR 97/94 - NJW 1995, 1551; BGH, Urt. v. 17.05.2011 - II ZR 285/09 - NZG 2011, 858, 859.
11) BGH, Urt. v. 17.05.2011 - II ZR 285/09 - NZG 2011, 858, 859.
12) Goette, AnwBl 2007, 637, 643.
13) Römermann, NJW 2007, 2209, 2214; OLG Celle, Teilurt. v. 29.05.2002 - 9 U 310/01 - NZG 2002, 862, 863.
14) BGH, Beschl. v. 31.05.2010 - II ZR 29/09 - NJW-Spezial 2010, 703; Henssler/Michel, NZG 2012, 401, 408.
15) Römermann, NJW 2007, 2209, 2214.
16) Römermann, NJW 2007, 2209, 2214.
17) So auch Wolff, NJW 2009, 1302, 1305.
18) So auch Westermann, AnwBl 2007, 103, 108; Wolff, NJW 2009, 1302, 1305.
19) Henssler/Michel, NZG 2012, 401, 409; Römermann, NJW 2007, 2209, 2214; Westermann, AnwBl



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